Freitag, 9. August 2013

Der Preis der Versöhnung....Der Spatz

Adelita de la Torquedad – Der Spatz


Erst hatte sie ihn umgebracht. Und dann in den Müll geschmissen. Dabei war er so goldig, wie er sich in Pfützen putzte, auf und ab durch die Wolken flog und auf den obersten Baumspitzen der Stadt wippte. So ein Spatz war nicht nur der Inbegriff des Schmarotzertums, nein, es war eine Kreatur, die ein Recht auf ihr Leben hatte. Doch sie machte dem ein Ende. Sie nahm sich als wichtiger und weiter entwickelter auf der darwinschen Leiter, sah sich als Fressende, als Krone der Schöpfung. Doch kurz bevor sie dem kleinen Spatz das Genick brach, dachte sie noch an die Gleichberechtigung aller Schöpfungen, aller Kreaturen dieser Welt. Warum sollte sie mehr sein als dieser winzige Vogel? Wußte sie wie es war, ein Federkleid zu haben? Wußte sie, was es bedeutete mit dem Wind zu fliegen? Und konnte sie die winzigen Nuancen seiner Melodien unterscheiden?  Der Spatz war in ihre Wohnung geflogen und verbarg sich  auf dem Fensterbrett hinter den Blumenvasen. Immer wieder klopfte er mit seinem Schnabel gegen die Scheibe. Er wollte wieder in den purpurnen Abendhimmel fliegen, wo er hergekommen war. Dieses tack-tack-tack seines Schnabels hatte sie aus dem Nickerchen gerissen, das sie gerade nach einer Lektüre auf der Couch im Wohnzimmer vollzog. Und gerade in dem Moment , als sie ihn dort in seiner hilflosen Lage sah, da war ihr so mild ums Herz, dass sie sich verglich mit dem Verirrten. Sie würde nie lautlos durch die Lüfte gleiten. Sie würde nie ihre beschmutzten weichen Federn im Regen säubern und sie würde nie so wunderschön singend den Morgen einläuten. Der Spatz hüpfte aufgeregt hinter den Blumenvasen hin und her. Mitleid überkam sie mit dieser doch eigentlich niederen Kreatur. Sie war diesem Tier noch nie so nahe, als sie die Hände nach dem aufgeregten Spatz ausstreckte und ihn behutsam in der Hand zu verbergen suchte. Doch es war die Nähe zum Feind, die den Vogel wild flattern ließ. Sie konnte ihn nicht mehr halten und plötzlich schoß der Spatz aus ihrer Hand, flog durch die Wohnung, um mit einem Knall gegen die Scheibe im Wohnzimmer zu fliegen und mit einem gebrochenen Genick auf dem Teppich in ewige Ruhe zu sinken. Hätte sie ihn nicht retten wollen, wäre er zu diesem Zeitpunkt noch am Leben. Keine Gewalt und kein Hunger sondern die Angst hatten den Spatz in den Tod getrieben. Sie hatte ihn umgebracht. Und da der Hof zu ihrem Mietshaus zugepflastert war und sie keinen Garten hatte, nahm sie das tote Vögelchen und warf es mit einer kleinen Rose in den Müll.


Im Zweifel für den Zweifel: Adelita de la Torquedad