Donnerstag, 17. Februar 2011

kirmes-records ---guide schuesselin---

Schuld und Sühne im Hotel Sacher

Wir Deutschen sind aufgrund der Vielzahl der von uns begangenen Gräueltaten mit einer schweren, nicht tilgbaren Schuld beladen. Nirgendwo auf der Welt spürt man das Gewicht dieser Schuld deutlicher als im Cafe des legendären Hotel Sacher in Wien. Sinnigerweise erfolgt die Bestrafung vor Ort dann auch direkt die durch Landsleute des Mannes, der seinerzeit den ganzen Ärger angezettelt hat.
Das hat etwas Gutes, denn so lernen wir, nicht zu vergessen.

Um in den Genuss der berühmten Sacher Torte zu gelangen benötigt man zunächst Geduld. Der durchschnittliche westeuropäische Mann hat eine Lebenserwartung von 75,6 Jahren. Daher raten wir Wien-Besuchern, die das 73 Lebensjahr bereits vollendet haben dringend von einem Besuch des Hotel Sacher ab, da die Wartezeiten für einen Platz im Kabinett des Cafes (Grundvoraussetzung für den „Genuss“ eines Stücks Torte) gut und gerne 2 Jahre betragen können. Nutzen Sie daher die Ihnen noch verbleibende Zeit für wichtigere Dinge (Enkel, Haustiere, Baum pflanzen, Buch schreiben etc.) .

Da wir die zweite Hälfte unseres Lebens gerade erst begonnen haben und wir darüber hinaus sowieso von selbigem nichts mehr zu erwarten haben, reihen wir uns demütig in die kilometerlange Schlange vor der massiv goldenen Tür ein.
Als wir endlich zwei verlorene Weltkriege später von einem Kellner mit der Arroganz eines Vorstandsvorsitzenden zu unserem Tisch geleitet werden, sind wir fast wahnsinnig vor Hunger. Die Karte belehrt uns in vorwurfsvollem Ton, dass neben Torten auch noch weitere „Wiener Spezialitäten“ zur Verköstigung angeboten werden.

Zur Auswahl stehen ein Saftgulyas vom Almo Ochsen, Ravioli gefüllt mit Bröseltopfen oder ein Pörkölt vom Zander mit geschmortem Paprika und Kren.
So ähnlich sich die deutsche und die österreichische Sprache sind, so unmöglich ist es, sich hinter der Bezeichnung dieser Speisen etwas vorzustellen. Ein unterwürfig vorgetragenes Auskunftsersuchen wird vom Lagerleiter (Kellner) mit einem Faustschlag in die Magengrube quittiert.
In Todesangst entscheiden wir uns für ein Pörkölt vom Zander, das nach dem Überspringen einer Evolutionsstufe schließlich in weniger als lauwarmem Zustand serviert wird. Über den Geschmack lässt sich übrigens nichts sagen, da sich aufgrund der langen Wartezeit unsere Geschmacksnerven komplett zurückgebildet haben.

Der erste Teil unserer Schuld schien damit gesühnt, der zweite Teil wurde uns dann sogleich in Form einer Rechnung präsentiert, deren Höhen die Reparationszahlungen, die nach dem 2. Weltkrieg fällig wurden, um ein vielfaches überstieg und die sofortiges multiples Organversagen auslöste.

Nach einer langwierigen Reha vergeben wir vom Guide Schuesselin 6 von 5 möglichen Schuesseln für das emotionale Gesamterlebnis, welches uns im Hotel Sacher zu Teil wurde.

Für Wienbesucher, die sich nicht mit einer Erbschuld beladen fühlen, empfehlen wir dagegen eine Eitrige mit Buckel vom Würstl-Kebab hinter der Friedensbrücke im 9. Bezirk oder eine Portion Guache auf Karton (à la Kandinsky) in der Albertina. Bitte beim Verzehr auf die Wachleute achten…

Guten Appetit !


Hotel Sacher


Würstl Kebab