Adelita de la Torquedad – Der Spatz
Erst hatte sie ihn
umgebracht. Und dann in den Müll geschmissen. Dabei war er so goldig, wie er
sich in Pfützen putzte, auf und ab durch die Wolken flog und auf den obersten
Baumspitzen der Stadt wippte. So ein Spatz war nicht nur der Inbegriff des
Schmarotzertums, nein, es war eine Kreatur, die ein Recht auf ihr Leben hatte.
Doch sie machte dem ein Ende. Sie nahm sich als wichtiger und weiter
entwickelter auf der darwinschen Leiter, sah sich als Fressende, als Krone der
Schöpfung. Doch kurz bevor sie dem kleinen Spatz das Genick brach, dachte sie
noch an die Gleichberechtigung aller Schöpfungen, aller Kreaturen dieser Welt.
Warum sollte sie mehr sein als dieser winzige Vogel? Wußte sie wie es war, ein
Federkleid zu haben? Wußte sie, was es bedeutete mit dem Wind zu fliegen? Und
konnte sie die winzigen Nuancen seiner Melodien unterscheiden? Der Spatz war in ihre Wohnung geflogen und
verbarg sich auf dem Fensterbrett hinter
den Blumenvasen. Immer wieder klopfte er mit seinem Schnabel gegen die Scheibe.
Er wollte wieder in den purpurnen Abendhimmel fliegen, wo er hergekommen war.
Dieses tack-tack-tack seines Schnabels hatte sie aus dem Nickerchen gerissen,
das sie gerade nach einer Lektüre auf der Couch im Wohnzimmer vollzog. Und
gerade in dem Moment , als sie ihn dort in seiner hilflosen Lage sah, da war
ihr so mild ums Herz, dass sie sich verglich mit dem Verirrten. Sie würde nie
lautlos durch die Lüfte gleiten. Sie würde nie ihre beschmutzten weichen Federn
im Regen säubern und sie würde nie so wunderschön singend den Morgen einläuten.
Der Spatz hüpfte aufgeregt hinter den Blumenvasen hin und her. Mitleid überkam
sie mit dieser doch eigentlich niederen Kreatur. Sie war diesem Tier noch nie
so nahe, als sie die Hände nach dem aufgeregten Spatz ausstreckte und ihn behutsam
in der Hand zu verbergen suchte. Doch es war die Nähe zum Feind, die den Vogel
wild flattern ließ. Sie konnte ihn nicht mehr halten und plötzlich schoß der
Spatz aus ihrer Hand, flog durch die Wohnung, um mit einem Knall gegen die
Scheibe im Wohnzimmer zu fliegen und mit einem gebrochenen Genick auf dem
Teppich in ewige Ruhe zu sinken. Hätte sie ihn nicht retten wollen, wäre er zu
diesem Zeitpunkt noch am Leben. Keine Gewalt und kein Hunger sondern die Angst
hatten den Spatz in den Tod getrieben. Sie hatte ihn umgebracht. Und da der Hof
zu ihrem Mietshaus zugepflastert war und sie keinen Garten hatte, nahm sie das
tote Vögelchen und warf es mit einer kleinen Rose in den Müll.
Im Zweifel für den Zweifel: Adelita de la Torquedad